Hilfe im Abkürzungs-Dschungel: Was ist ein KGV?

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Datum:
4. Februar 2023
Von:
Georg Mauer, stellv. Vors. des KGV Kempen/Tönisvorst

Die Gemeinschaft der Gemeinden (GdG) Kempen/Tönisvorst wurde 2009 nach Verhandlungen, die von Mitarbeitern des Bischöflichen Generalvikariates (BGV) moderiert wurden, mit ca. 34.000 Katholiken gegründet und war somit die größte im Bistum. Sie umfasste sechs Pfarreien (Christ König, St. Cornelius, St. Godehard, St. Hubertus, St. Josef, St. Mariä Geburt), heute sind es knapp 29.000 Katholiken und nach Aufhebungen und Vereinigung in Kempen noch vier Pfarreien. Der Gründung der GdG vorausgegangen war eine langwierige Auseinandersetzung über die Pastoralstrukturen in Kempen, Tönisvorst und einigen Pfarreien im Nordwesten Krefelds, die im Ergebnis dazu führte, dass die Pfarreien in Kempen und in Tönisvorst nun einvernehmlich eine gemeinsame GdG gründeten, was ursprünglich nicht vorgesehen war. So wurden aus insgesamt 72 GdGs im Strukturplan des Bistums 71.

Zeitgleich unternahmen die Kirchenvorstände (KVs) der Mitgliedsgemeinden in Kempen und Tönisvorst die Verhandlung und Gründung des Kirchengemeindeverbands Kempen/Tönisvorst (KGV), was zügig und zielorientiert gelang. Ein KGV ist wie die Kirchengemeinden eine Körperschaft öffentlichen Rechts, kann also z.B. Verträge abschließen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen. Mit der Gründung verbunden war die Einführung eines Geschäftsführers zur Unterstützung des leitenden Pfarrers, Propst Dr. Thomas Eicker. Dies geschah zunächst gegen den Widerstand des BGV, bis sich dort das Konzept der Koordinatoren durchgesetzt hatte. Auch die Verpflichtung eines Freiberuflers als Koordinator musste vor der Schiedsstelle des Bistums erst erstritten werden. Ende 2016 wurde aufgrund der anstehenden Pensionierung eines aktiven Priesters neben der Koordinatorin zusätzlich eine Sekretärin für gemeindeübergreifende Aufgaben eingestellt. Ein Antrag auf Zuschuss zur Finanzierung wurde durch den Generalvikar abgelehnt. Die Stelle wird von den einzelnen Kirchengemeinden finanziert.

Der KGV übernimmt für die seine kirchengemeindlichen Mitglieder alle Aufgaben, die mit der Anstellungsträgerschaft des kirchengemeindlichen Personals (Küsterinnen und Küster, Kirchenmusikerinnen und -musiker, Pfarrsekretärinnen, Reinigungspersonal usw.) verbunden sind. Für einige Jahre übernahm er ebenfalls die Betriebsträgerschaften der sechs Kindertagesstätten der Mitgliedsgemeinden in Kempen und Tönisvorst, bis diese 2017 an die Horizonte gGmbH übertragen wurden. In dieser Zeit hatte der KGV etwa 100 angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Der KGV ist Mitglied des „großen“ KGV Krefeld/Kempen-Viersen als Träger des Verwaltungszentrums, das zahlreiche Verwaltungsaufgeben im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrag für ihn übernimmt. Er ist Mitgesellschafter der Horizonte gGmbH und nimmt seine Mandate dort und im großen KGV satzungsgemäß war.

Seit Einführung der Gemeindeleitungsteams in der GdG Mitte 2017 arbeitet ein Mitglied des jeweiligen KVs dort mit. Die Vertretungen des KGV und der KVs im GdG-Rat bzw. in den Pfarreiräten werden ebenfalls satzungsgemäß wahrgenommen.

Im Laufe der Zusammenarbeit während der letzten Jahre haben sich zwei Grundprinzipien als tragende Säulen ergeben: Subsidiarität und Solidarität.

Subsidiarität

Der Stellenbesetzungsplan des KGV basiert im Wesentlichen auf den Voten der einzelnen Kirchengemeinden. Die einzelnen KVs planen den Personaleinsatz und entscheiden über Art und Höhe der Beschäftigungsumfänge in ihren Verantwortungsbereichen. In die Kompetenz des KGV dagegen fallen der gemeindeübergreifende Personaleinsatz und die Organisation der gegenseitigen Vertretung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Weiterhin werden gemeinsame Projekte durchgeführt, für die eine bestimmte Expertise erforderlich ist, die nicht jede einzelne Kirchengemeinde vorhalten kann, oder die gemeinsam wesentlich effektiver durchgeführt werden können.

Die Zurechnung der Schlüsselzuweisungen des Bistums für Personal auf die Mitgliedspfarreien erfolgt nach einem gemeinsam vereinbarten Schlüssel, der die Systematik der Bemessung der Schlüsselzuweisung durch das Bistum abbildet. Da hierdurch das in den Mitgliedsgemeinden eingesetzte Personal sowie das gemeindeübergreifend eingesetzte Personal nicht ausreichend finanziert sind, werden die durch die Bistumszuweisung nicht gedeckten Kosten in einem Umlageverfahren von den einzelnen Kirchengemeinden übernommen.

Diese Praxis beweist eine konsequente Beachtung des Subsidiaritätsprinzips[1] als wichtiger Bestandteil der katholischen Soziallehre. Es garantiert den Kirchengemeinden des KGV Freiräume sowie die Akzeptanz ihrer Identität und Kompetenz als Kirche am Ort. Gleichzeitig sucht es nach Wegen der angemessenen Hilfe durch die übergeordneten Ebenen zur Förderung der Effektivität und Qualität ihres Handelns.

Solidarität

Der KGV sieht die in ihm praktizierte Solidarität auch als eine Antwort auf den Aufruf zur Weggemeinschaft im Fastenhirtenbrief von 1989 von Bischof Hemmerle, wenn auch nur aus der pragmatischen Sicht der engeren Kirchenvorstandsarbeit. Sie kommt in zahlreichen gemeinsamen Projekten zum Ausdruck.

Die Umsetzung des kirchlichen Immobilienmanagements (KIM) nach den Vorgaben des Bistums war für einen Teil der Kirchengemeinden alleine gar nicht möglich. Nach langen Diskussionen wurde eine entsprechende Vereinbarung über die Einrichtung eines Solidarfonds beschlossen, der vom KGV verwaltet wird.

Das Personal in den Pfarrbüros wird zunehmend gemeindeübergreifend eingesetzt. Voraussetzung hierfür waren die Vereinheitlichung der Arbeitsweisen in den Büros, die gemeinsame Umsetzung neuer Standards für den Datenschutz, die Durchführung von Bewerbungsverfahren durch den KGV sowie die Einführung einer gemeinsamen neuen Softwareplattform, die aktuell auch für ehrenamtliche Dienste geöffnet wird.

Derzeit wird das kirchenmusikalisches Gesamtkonzept weiterentwickelt, um den veränderten Gottesdienstordnungen und anstehenden Personalveränderungen Rechnung zu tragen. Die Kirchenmusikerinnen und -musiker werden bereits seit Arbeitsbeginn des KGV gemeindeübergreifend eingesetzt.

Weitere Vorhaben waren die Einführung neuer Konzepte mit ehrenamtlicher Beteiligung für die Küstereien und die Ausbildung und Berufung einer Präventionsfachkraft. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit werden durch gemeinsam angestelltes Personal erledigt wie auch die Erstellung und Pflege der Website der GdG mit den Unterbereichen für die einzelnen Pfarreien.

Die pandemiebedingten Richtlinien und Verordnungen werden durch die „Coronarunde“ des KGV regelmäßig analysiert und die kurzfristige Umsetzung zwischen den Kirchengemeinden koordiniert. Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz für das kirchengemeindliche Personal werden für die einzelnen Kirchengemeinden durch den KGV insgesamt organisiert.

Solidarität als Grundprinzip der Zusammenarbeit wird heute von den Verantwortlichen der Mitgliedsgemeinden im KGV als ein Gefühl der Zusammengehörigkeit wahrgenommen. Dies äußert sich in gegenseitiger Hilfe und dem Eintreten füreinander. Es musste sich im Laufe der Jahre erst entwickeln. Denn Solidarität bedeutet auch zurückzustecken und das Wohl der Gemeinschaft in den Blick zu nehmen[2]. So appelliert Solidarität an die Vernunft, auch wenn die emotionale Situation dem entgegenstehen mag. Voraussetzung dafür ist, dass der Kreis der handelnden Personen im KGV überschaubar ist und dass sich auf der Grundlage erster gemeinsamer Erfahrungen Vertrauen zueinander entwickeln konnte.

 

[1] Vergl. u.a. Enzyklika Quadragesimo anno, Nr. 79 (Pius XI., 1931): „Wie dasjenige, was der Einzelmensch als eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen.“

[2] „Wer sich solidarisch verhält, nimmt im Vertrauen darauf, dass sich der andere in ähnlichen Situationen ebenso verhalten wird, im langfristigen Eigeninteresse Nachteile in Kauf.“ (J. Habermas, 2017)